Logo Kurt Scheuerer, Ingolstadt Kurt Scheuerer - Anmerkungen zur Mythologie  
Freyja
Erblühen im Schmuck - Zu den Insignien antiker Göttinnen

 
Ein großer zeitlicher und räumlicher Sprung bringt uns nun aus der Antike ins mittelalterliche Island. Um 1220 verfasste der Isländer Snorri Sturluson ein Dichterlehrbuch, die Snorra Edda, in welchem er sich auf Lieder beruft, die zwar im 13. Jh. in der Lieder-Edda niedergeschrieben wurden, deren Stoffe jedoch weit zurückreichen. (Tetzner, Reiner. Germanische Göttersagen. Stuttgart 1992. - Diederichs, Ulf. Germanische Götterlehre. Köln 1984.) Hier erhalten wir literarisch verbrämte Kunde von den Asen, den nordischen Göttern, und den Wanen, wohl sehr alten Vegetations- und Erdgöttern. Von besonderem Interesse erscheint dabei das Geschwisterpaar Freyja und Freyr, in welchen sich wohl, meines Erachtens, im Laufe der Jahrtausende, ähnlich wie auch bei vielen griechischen Göttern, die vielfältigen Aspekte verschiedener örtlicher Naturwirksamkeiten versammelt haben. Insbesondere sind deutliche Bezüge zwischen Freyja und Aphrodite zu erkennen.

Freyja kennt den Seid (Seidr), den Zauber der Wanen, wohl eine Art von magischer Beeinflussung.
Denkbar, dass derartiges auch in Sapphos Gebet (s.o.) zum Ausdruck kommt: "wider Willen auch" soll die Begehrte lieben. Freyja gibt das Wissen um den Seid (von dem leider zu wenig überliefert ist) an Odin weiter, dem dessen Anwendung dann von Loki als ungeziemend vorgeworfen wird (Lokasenna 24.). Dies lässt daran denken, dass es auch Zeus möglich war, Aphrodite in Liebesverlangen nach Anchises zu versetzen, eine Fähigkeit, die sonst nur Aphrodite selbst vorbehalten war.

Ein wesentliches Attribut Freyjas ist ihr einzigartiger Halsschmuck, der Brisingamen. Vier Zwerge hatten diesen gefertigt. Freyja bot ihnen Gold und Silber dafür. Die Zwerge wiesen das zurück, als Erdwesen hatten sie wohl selber genug davon, Freyja sollte mit jedem von ihnen eine Nacht verbringen. Freyja, die Wanin, die jetzt bei den Asen lebte, sollte damit wohl die Ursprünglichkeit und Erdhaftigkeit ihres wanenhaften Wesens bewahren. Diese "Heiligen Hochzeiten" könnten uns heute auch ein Symbol für ein Bewahren, nicht ein Ausbeuten der Natur sein.
Die Zwerge selbst erinnern an der griechischen Hephaistos, den kunstfertigen Schmied, den Ehemann Aphrodites, den diese mit Ares betrogen hatte. Zauberhafte Fäden, von Hepaistos gefertigt, umflossen das Liebespaar, banden es und gaben es dem Spott der herbeigeeilten männlichen Götter preis:

Zu Hermes aber sagte der Gebieter, der Sohn des Zeus, Apollon:
»Hermes, Zeus-Sohn, Geleiter! Geber du des Guten! Wolltest du wohl, gezwängt in starke Bande, schlafen im Bette bei der goldenen Aphrodite?«
Da entgegnete ihm der Geleiter, der Argostöter:
»Wenn dieses doch geschehen möchte, Herr, fernhintreffender Apollon! Da möchten Bande, dreimal soviel, unendliche, um mich her sein und ihr zuschauen, Götter und Göttinnen alle: gleichviel, ich schliefe bei der goldenen Aphrodite!«
So sprach er, und es erhob sich ein Gelächter unter den unsterblichen Göttern.
(Homer. Die Odyssee. 8. Gesang. Deutsch von Wolfgang Schadewaldt. Zürich 1996. S. 134-137.)

Ein Vergleich mit den Spottreden des Loki drängt sich auf:
Zuviel von dir weiß ich,
kein Fehl ist dir fremd:
mit den Asen und Alben
hast du allen gebuhlt,
die im Saal hier sind.
Njörd, Freyjas Vater erwidert darauf:
Wenig macht´s,
ob ein Weib einen Mann,
Buhlen oder beides wählt ...
(Lieder-Edda. Lokasenna, 30 und 33. Übertragung: Felix Genzmer. In: Germanische Götterlehre. Köln 1984.)

Es war wohl weniger die Tat, als die Schande, dabei ertappt worden zu sein, die beiden - Freyja und Aphrodite - vorgeworfen wurde:
... Der Kriegsgott eilte gen Thrake,
Aber nach Kypros ging Aphrodite, die Freundin des Lächelns,
In den paphischen Hain, zum weihrauchduftenden Altar.
Allda badeten sie die Charitinnen und salbten
Sie mit ambrosischen Öle, das ewige Götter verherrlicht,
Schmückten sie dann mit schönen und wundervollen Gewanden.
(Homer. Odyssee. 8, 361-366. Übertragung von Johann Heinrich Voß.)
Für Aphrodite war damit dann auch wohl alles erledigt, Od dagegen, der betrogene Ehemann Freyjas wanderte "in weite Ferne, und Freyja weint ihm nach, ihre Tränen sind rotes Gold."
(Prosa-Edda. Gylfis Betörung (Gylfaginning). Übertragung: Gustav Neckel. In: Germanische Götterlehre. Köln 1984. S. 149.)

Bereits Apollonios berichtet im 3. Jh. v.Chr. bei der Schilderung der Heimfahrt der Argonauten von Tränen:
"Ringsumher am Ufer seufzen, in Pappeln verwandelt, Phaethons Schwestern,
die Heliaden, im Winde, und lichte Traenen aus Bernstein fallen auf den
Boden, die die Sonne trocknet und die Flut in den Eridanos hineinzieht."

Diodor, ein Zeitgenosse Caesars, bringt diese Erzählung ausführlicher:
»Phaethon, der Sohn des Sonnengottes, vermochte seinen Vater, daß er ihm, dem unerfahrenen Knaben, auf einen Tag sein Viergespann überließ. Als ihm Dieß zugestanden war, fuhr er mit dem Wagen davon; allein er konnte die Zügel nicht regieren; die Pferde achteten den Knaben nicht und lenkten von dem gewohnten Weg ab. Zuerst verirrten sie sich gegen den Himmel hin und richteten da einen Brand an, wodurch die sogenannte Milchstraße entstand. Nachher setzten sie eine weite Strecke auf der Erde in Flammen, so daß nicht wenige Länder verbrannten. Zürnend schleuderte Zeus, als Das geschah, den Blitz auf Phaethon und brachte die Sonne in ihre gewohnte Bahn zurück. Phaethon fiel bei der Mündung des Flusses nieder, der jetzt Padus (Po) heißt und ehemals Eridanus genannt wurde.
Seine Schwestern beweinten seinen Tod mit tiefem Schmerze. Sie jammerten so übermäßig, daß die Natur sie umschuf und in schwarze Pappeln verwandelte. Diese vergießen jedes Jahr um dieselbe Zeit Thränen, woraus dann, wenn sie sich verdichten, das Electrum sich bildet, welches heller glänzt als alle ähnliche Stoffe und namentlich dann sich findet, wenn über einen verstorbenen Jüngling eine Klage angestellt wird.«
(Diodor. Griechische Geschichte. Übers. von Wurm. Stuttgart 1839. Fünftes Buch.)

In der Antike ist Bernstein nach Süden verhandelt worden, nach Diodor gelangte er über das Rhônetal nach Rom. "Rotes Gold" - weint auch Freyja Tränen aus Bernstein? Tränen, die ins nordische Meer fallen und von den schäumenden Wogen ans Ufer getragen werden?

Die Lieder-Edda berichtet vom Begehren des Riesen Thrym auf Freyja. Er entwendete den Hammer des Thor und wollte diesen nur im Austausch gegen Freyja zurückgeben. Als man Freyja diese Forderung übermittelte, wurde sie zornig:
Grimm ward da Freyja, grollend schnob sie,
der ganze Saal der Götter bebte,
hinsprang der breite Brisingenschmuck:
"Die mannstollste müßte ich sein,
reist ich mir dir nach Riesenheim."
Nach langer Beratung schlug Heimdall vor, Thor als Freyja zu verkleiden:
"Binden wir Thor mit Brautlinnen!
Er trage den breiten Brisingenschmuck!
Lassen wir Schlüssel am Leib ihm klirren,
und Frauenkleider aufs Knie fallen
und breite Steine auf der Brust liegen,
türmen wir hoch den Brautschmuck ihm!"
Diese List hatte dann Erfolg, Thor konnte seinen Hammer wieder holen.
(Thrymlied. Übersetzung: Felix Genzmer. In: Germanische Götterlehre. 1984. S. 58/59.)

Brisingamen, der Schmuck, den Freyja von vier Zwergen erhalten hatte, war breit. In ihrem Zorn ist er "hingesprungen". Er bestand also wohl aus vielen Einzelteilen. Es ist dabei an ein Kollier aus vielen Perlen oder Ähnlichem zu denken. Die Anfertigung des Brustschmucks durch vier Zwerge läßt an die Verwendung von Edelmetall denken. Wäre dieses jedoch ausschließlich verwendet worden, so hätte der Halsschmuck jedoch nicht bei diesem heftigen Zornesausbruch "hinspringen" dürfen. Er wäre bestenfalls abgerissen. Es ist also eine Anfertigung aus gefassten oder durchlochten Steinen zu erwarten. Was liegt im Norden näher, als dabei an Bernstein zu denken. In der klassischen Antike, also in Griechenland und Rom, waren Halsketten aus Karneol, einem rötlichen Halbedelstein, der aus Indien bezogen wurde, große Mode. Der gelb-rötliche Bernstein könnte, ohne ausdrücklich genannt zu werden, im Norden ebenfalls diese Funktion besessen haben.
Auch wird erwähnt, dass über den Frauenkleidern "breite Steine auf der Brust" lägen. Diese Aussage kann sich nur auf Bernstein beziehen. Er ist das einzige Material, welches ausreichend groß und dabei doch noch leicht genug ist, um in dieser Art getragen zu werden.

Der mythenkundige Leser wird einwenden, dass in diesem Aufsatz nur ein einziger der vielen Aspekte von Freyja aufgezeigt wurde. In der Skaldenpoetik wird gefragt:

"Wie umschreibt man Freyja?" -
"Man nennt sie Njörds Tochter, Freyrs Schwester, Ods Weib, Mutter der Hnoss, Eigentümerin fallender Krieger, des Sessrumnir, der Kater, des Brisingenhalsbandes;
man nennt sie Wanengöttin, Wanen-Dis, die tränenschöne Göttin, Göttin der Liebschaften"
(Thule Bd. 20, S. 161. Zitiert nach: Diederichs, Ulf. Germanische Götterlehre. Köln 1984. S. 222/223.)
Weitergehende Untersuchungen würden jedoch den Rahmen dieses Aufsatzes deutlich sprengen. Verzichtet wurde besonders auf das "Jagdmädchen", die Herrin des Waldes, Artemis und das "Schildmädchen", die Burgbeschützerin, Athena, sowie auf die chthonischen Aspekte Freyjas, die auch unter dem Begriff des "Werdens und Vergehens" zu betrachten sind.

Kurt Scheuerer, Ingolstadt 1998  


Aus dem Katalog zur Ausstellung
Das Geheimnis des Bernstein-Colliers
Ingolstadt 1998. S. 85-89.


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